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Der Abbau von Kalkstein vor rund
145 Jahren in Rüdersdorf

von Arnold Düring – Mitglied im Bergbauverein Rüdersdorf 1990 e.V.

 

Man kann es sich heute kaum vorstellen, dass Rüdersdorf um 1900 ein begehrter, vielbesuchter Ausflugsort war. Vor allem Berliner Ausflügler kamen gerne nach Rüdersdorf. Sie kamen mit der Eisenbahn bis nach Erkner oder Schulzenhöhe/Tasdorf. Ab Erkner wanderte man zu Fuß oder fuhr mit der Weißen Flotte über Woltersdorf nach Kalkberge. Oder man nahm die Ostbahn nach Fredersdorf und stieg dort ab 1872 in den ›Schwarzen Zug‹ nach Schulzenhöhe/Tasdorf. Die Straßenbahn von Friedrichshagen kam erst ab 1912 zum Einsatz. Die Ausflügler kamen besonders zahlreich in Rüdersdorf, wenn in Berlin in der Presse stand: ›Großer Bruchsturz in Rüdersdorf‹. Es wurde viel Reklame gemacht und es war auch ein besonderes Ereignis.

 

Um zu verstehen, was ein Bruchsturz ist, dient folgender Hinweis: Der Kalksteinabbau in Rüdersdorf war eine ›Knochenarbeit‹. Bis zum Einsatz von Schwarzpulver 1803, wurden die Kalksteinschichten mit der Hand, schweren Hämmern und Brecheisen Schicht für Schicht abgetragen. Dann wurden die gewonnenen Kalksteine mit Schubkarren und Fuhrwerken zu den Ablagen an die Wasserläufe transportiert und aufgestapelt. Unter der Leitung des Berghauptmanns Graf von Reden wurde eine neue Abbaumethode ›Die Schramabbaumethode‹ entwickelt, die bis 1952 im Einsatz war. 

Zunächst wurde eine ca. 25 bis 30 Meter hohe Abbauwand per Hand hergestellt. Auf der untersten Sohle (der untersten geraden Schicht) wurden Löcher von zwei mal vier Meter in den Berg getrieben. Es blieben Pfeiler von zwei mal zwei Metern stehen. Dahinter wurde ein Querstollen zur freien Fläche unter dem Berg hergestellt. Die verbliebenen Pfeiler wurden vor dem Sprengen auf einen mal einen Meter geschwächt und mit zehn Sprenglöchern versehen. Dazu der Originaltext aus einem Wanderführer, von Dr. Hans Menzel und 1912. 

 

›Wenn wir die Gelegenheit günstig antreffen, so erfolgt binnen kurzem ein sogenannter Bruchsturz; eines der großartigsten Schauspiele, die im Bergwerksbetriebe überhaupt vorkommen. Unter der Führung eines laternenbewehrten Knappen ins Innere der Gänge eindringend, können wir den Vorbereitungen dazu folgen. In den schmalen Stollen, auf deren Grunde sich holzüberdeckende Wasserrinnen hinziehen und von denen die meisten bereits schon mit Schmalspurgleisen versehen sind, erblickt man hie und da Arbeiter beim Anbohren der bereits auf das normale Maß geschwächten Pfeiler beschäftigt. In einen jeden werden zehn tiefe, etwa zwei bis drei Zoll weite Löcher gebohrt, von den später jedes ein Kilogramm Pulver aufnehmen wird. Zum Bruchsturz bestimmt man ein Feld am äußeren Abhang, das je nach Bedarf sechs bis zwölf Pfeiler breit und zwei Pfeiler tief ist, also eine Felsmasse von 200 bis 400 m² Fläche und 25 m Höhe umfasst. Jeder Pfeiler dieses Bruchfeldes ist bereits gebohrt und mit einer Ladung von 20 Pfund Pulver gefüllt, an jeder Mine liegt bereits der Zündfaden, die Mannschaften werden unter der Leitung des Obersteigers verteilt und die Zündung kann beginnen.

 

Die Leute, je nach der Größe des Bruchfeldes 150 bis 300 Mann, sind so verteilt, dass sich zehn Knappen an jedem zum Sturz bestimmten Pfeiler befinden. An jedem Bohrloche steht ein Mann mit brennender Lunte. Vor der Front dieser Armee aber steht der Obersteiger, neben ihm sein erster Offizier, der Steiger des Bruchs. Einige Verwaltungsbeamte, Bergassessoren usw. befinden gewöhnlich in der Nähe. Nun herrscht erwartungsvolle Ruhe; warnend erklingen die Töne der Signalglocke und alles, was sich außer den Zündern in der Nähe des Platzes befindet, eilt schleunigst von hinnen. Selbst die Kähne, welche auf den hundert Schritt entfernten Kanälen liegen, weichen zurück. Unheimliche Stille lagert nun vor den drohenden Felsmassen, die in den nächsten Minuten zum krachenden Sturz gezwungen werden sollen. Nun ertönt das Kommando: ›Achtung!‹ Der Obersteiger überzeugt sich durch die Frage, ob alles am Platze; noch zehn Sekunden Stille - dann erfolgt das Kommando: ›Brennt!‹ und die Katastrophe ist beschworen. Wie der Blitz in sein Opfer, so fährt jede Lunte an seine Zündschnur und fast im gleichen Augenblick beginnt auch schon die rasende Flucht der Scharen, die im militärischen Laufschritt dem Freien und der Sicherheit zueilen. Zwei Minuten haben sie Zeit, denn solange bedarf das Feuer, um längs der Zündschnur das Pulver zu erreichen. Zuletzt, nach dem auch der Letzte seiner Getreuen in Sicherheit, verlässt der Obersteiger den Ort. 

 

Zwei Minuten sind verstrichen, da kracht der erste, da krachen auch schon zehn, schon zwanzig Schüsse. Schlag auf Schlag donnern innerhalb von dreißig Sekunden Hunderte von Detonationen mit einer Heftigkeit, dass die Erde bebt. Aus den Pfeilergängen wälzt sich Rauch, sprühende Blitze durchzucken den wallenden Nebel, Steinmassen durchfliegen die Luft und stürzen bis in die Kanäle- und plötzlich, oft noch während der krachenden Detonationen, bricht unter unbeschreiblichem Getöse die Felsmassen in sich zusammen, ein Bild der Verwüstung und des Schreckens. Es ist ein grausig großartiger Anblick, unter Krachen und Donner, Pulverdampf und Sandwolken, die hoch emporgeschleudert werden, die 80 Fuß hohe und oft doppelt so breite Felsmasse zusammenstürzen zu sehen und wer jemals Zuschauer dieser Szene war, wird zugeben, dass er Eindrucksvolleres selten gesehen hat.‹

 

Wie im Originalbericht dargestellt wurden die gesprengten Felsmassen weiterhin per Hand so weit zerkleinert, dass sie per Hand auf Loren verladen und transportiert werden mussten. Seit 1922 wird die Zündung des Sprengstoffs elektrisch ausgelöst. Zum jetzigen Zeitpunkt sind im Tagebau zwei vollmechanische Bohrmaschinen im Einsatz, mit zwei Personen Bedienung und ein Sprengtrupp von vier Personen sichern die heutige Förderleistung ab.

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